Situationsanalyse (SITAN)

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Lernziele

Sie kennen die Bedeutung der Informationsfunktion für die Erreichung der Unternehmensziele. Sie können davon ausgehend ihre strategische Rolle bestimmen. Sie erkennen, dass zum Ausschöpfen des Leistungspotenzials durch den Aufbau von Erfolgspotenzial innerund außerbetriebliche Rahmenbedingungen bekannt sein müssen. Sie kennen Vorgehensweisen der Analyse der Wettbewerbssituation, der Analyse der Informationsinfrastruktur und der Umweltanalyse sowie andere Vorgehensweisen zum Erkennen strategischer Lücken.

Definitionen und Abkürzungen

  • Analyse (analysis) = Bestimmung und Charakterisierung von Teilen eines Systems (eines Ganzen) sowie der Beziehungen der Teile untereinander und zum Ganzen mit dem Zweck, das Ganze zu erklären.

  • Istzustand (current system) = Gesamtheit der technischen, organisatorischen, personellen, sozialen und rechtlichen Bedingungen und Regelungen eines bestehenden Systems.

  • Portfolio (portfolio) = grafische Darstellung der Zielerträge mehrerer Objekte mit zwei Merkmalen in einem meist in Quadranten eingeteilten Koordinatensystem.

  • Potenzialfaktor (potential factor) = Eigenschaft einer Technologie, die bei deren Nutzung die Ausschöpfung des Nutzenpotenzials unterstützt (z. B. Erhöhung der Produktivität).

  • Profildiagramm (profile diagram) = grafische Darstellung der Zielerträge mehrerer Objekte zu mehreren Zielkriterien.

  • Schwäche (weakness) = negative Abweichung der Eigenschaft eines Systems von einem definierten Standard (z. B. Sollzustand). Synonym: Schwachstelle.

  • Situationsanalyse (situation analysis) = systematische Untersuchung der für ein System zu einem bestimmten Zeitpunkt oder Zeitraum relevanten Bedingungen.

  • Sollzustand (target system) = Gesamtheit der technischen, organisatorischen, personellen, sozialen und rechtlichen Bedingungen und Regelungen eines zu schaffenden Systems.

  • Stärke (strength) = Entsprechung oder positive Abweichung der Eigenschaft eines Systems von einem definierten Standard (z. B. Sollzustand).

  • strategische Schlagkraft (strategic threat) = durch Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit bestimmte Spitzenkennzahl.

  • Unternehmenstypologie (enterprise typology) = Systematik zum Einschätzen der strategi- schen Rolle der Informationsfunktion in Abhängigkeit vom Leistungspotenzial.

  • Wettbewerbsfaktor (competitive factor) = Wettbewerb kennzeichnende Eigenschaft des Marktes, in dem ein Unternehmen tätig ist (z. B. Lieferzeit, Qualität, Preis).

  • Wettbewerbsvorteil (competitive advantage) = Eigenschaft des Unternehmen, die es von seinen Mitbewerbern unterscheidet und im Wesentlichen durch den Wert bestimmt ist, den es seinen Kunden durch Kostensenkung und/oder Leistungssteigerung bietet.

Zweck der strategischen Situationsanalyse
Strategische Rolle der Informationsfunktion
Strategische Schlagkraft
Vorgehensweisen der Situationsanalyse
Andere Vorgehensweisen

Forschungsbefunde

Strategische Maßnahmen auf Grund der Ergebnisse einer Situationsanalyse, insbesondere der Wettbewerbsanalyse, können zu Veränderungen der IT-Infrastruktur führen, die den Kunden Vorteile verschafft, welche die Mitbewerber nicht bieten. Dies zwingt sie dazu, nachzuziehen. Daraus kann die These abgeleitet werden, dass sich langfristig die Position der Kunden verbessert und die der Lieferanten verschlechtert. Treacy hat versucht, diese These am Beispiel der Luftverkehrsgesellschaften zu belegen. Im Ergebnis wird festgestellt (zitiert nach Mertens/Plattfaut): Die Einführung von Platzbuchungssystemen bei Reiseveranstaltern hat den Luftverkehrsgesellschaften zunächst Vorteile gebracht. Nachdem alle wichtigen Mitbewerber nachgezogen haben, verschärft sich der Wettbewerb, und die Gewinnsituation der Branche verschlechtert sich. Die Gewinnsituation des Innovators (also der Luftverkehrsgesellschaft, die als erste ein Platzbuchungssystem bei den Reiseveranstaltern eingeführt hat) ist jedoch besser als die seiner Mitbewerber.


Lullies et al. stellen als Ergebnis einer empirischen Breitenuntersuchung (Experteninterviews in Deutschland und den USA) und drei Einzelfallstudien u. a. eine Strategielücke zwischen strategischer Geschäftspolitik und Konzepten des Technologieeinsatzes fest. Es gelingt den Unternehmen kaum, „Technik und Geschäftspolitik systematisch zu verbinden, den bestehenden Gestaltungsspielraum auszuloten und ganzheitliche Gestaltungsalternativen zu entwickeln“. Bei der strategischen Planung werden Geschäftspolitik und IuK-Technologie kaum miteinander verknüpft; die Entwicklung des Einen erfolgt ohne Beziehung zum Anderen. Die Autoren finden im Ergebnis das productivity paradox (nach Attewell), dass Sektoren, Branchen und Unternehmen mit besonders hohen Investitionen in die IuK-Technologie eine stagnierende oder sogar rückläufige Produktivitätsentwicklung aufweisen und insgesamt von einer empirischen Evidenz für Produktivitätssteigerungen durch IuK-Technologie keine Rede sein kann, bestätigt.

Lullies, V. / Bollinger, H. / Weltz, F.: Konfliktfeld Informationstechnik. Innovation als Managementproblem. Frankfurt/M. 1990


Henderson/Venkatraman formulieren auf Grund von Forschungsarbeiten und Erfahrungen aus Beratungsprojekten in großen Unternehmen fünf Prinzipien einer effektiven Kapitalisierung des IT-Wertes im Unternehmen:

1. Business impact: Value realisation lies in the design of new business models that are enabled by IT and in the design of product/service platforms for the information age.

2. Community of practice: Value realisation requires an organizational architecture that is able to co-ordinate a community of professionals with complementary expertise.

3. Selective sourcing: Value realisation is enhanced by assembling the required IT capabilities through a portfolio of relationships that is adapted over time.

4. Knowledge infrastructure: The new economy is likely to reward intellectual assets more than physical assets; value realisation requires the creation of a business platform suited to this environment.

5. Strategic alignment: Value realisation through IT rests on strategic alignment of the four principles discussed above; this is a dynamic process as the changing business environment drives the evolution of new organisational models.

Henderson, J. C. / Venkatraman, D. J.: Five principles for making the most of IT. FINANCIAL TIMES, Beilage Mastering Information Management vom 1.3.1999, 4-5


Mertens/ Plattfaut berichten von Beispieln, wie durch Maßnahmen der Verbesserung der IT-Infrastruktur Wettbewerbsfaktoren positiv beeinflusst werden können. Daraus werden folgende strategische Auswirkungen abgeleitet:

  • Verstärkung der Integrationsbeziehung zum Kunden,
  • Beeinflussuing der Liederantenauswahl beim Kunden,
  • Differenzierung von Mitbewerbern,
  • Verstärkung des Bindungswillens des Kunden zum Lieferanten,
  • Erweiterung des Produkspektrums durch umfassende Produkte, die Einzelprodukte substituieren können und
  • schnellere Reaktion auf Änderungen der Nachfrage.

Mertens, P/ Plattfault, E: Informationstechnik als strategische Waffe. In: Information Management 2/1986, 6-17

Methodenverweise

Fallstudienverweis

  • Lerneinheit FSITA der 8. und FSSIT der 9. Auflage zeigen am praktischen Beispiel die Durchführung einer Situati-
    onsanalyse, siehe die Website dieses Buches.

Kontrollfragen

  1. Welcher Zusammenhang besteht zwischen Leistungspotenzial und Unternehmenserfolg?

  2. Was bedeutet „Analyse der Wettbewerbssituation"?

  3. Wie wird bei der Analyse der IT-Infrastruktur vorgegangen?

  4. Warum ist die Umweltanalyse primär eine Technologieanalyse?

  5. Welche Alternativen zu einer umfassenden IT-Diagnose gibt es?

Quellen

  • Hammer, M. / Champy, J.: Business Reengineering: Die Radikalkur für das Unternehmen. 7. A., Frankfurt a. M. 2003

  • Heinrich, L. J.: Strategische Überdehnung der Informationsinfrastruktur. In: Bartmann, D. (Hrsg.): Lösungsansätze der Wirtschaftsinformatik im Lichte der praktischen Bewältigung. Berlin et al. 1991, 123–135

  • Heinrich, L. J. / Häntschel, I. / Pomberger, G.: Diagnose der Informationsverarbeitung. Konzept und Fallstudie. In: CONTROLLING 3/1997, 196–203

  • Heinrich, L. J. / Heinzl, A. / Riedl, R.: Wirtschaftsinformatik – Einführung und Grundlegung. 4. A., Berlin/Heidelberg 2011

  • Heinrich, L. J. / Pomberger, G.: Entwickeln von Informatik-Strategien. In: Lausen, G. / Oberweis, A. / Schlageter, G. (Hrsg.): Angewandte Informatik und Formale Beschreibungsverfahren. Stuttgart/Leipzig 1999, 108–127

  • Heinrich, L. J. / Pomberger, G.: Diagnose der Informationsverarbeitung. In: Schweiggert, F. / Stickel, E. (Hrsg.): Informationstechnik und Organisation. Planung, Wirtschaftlichkeit und Qualität. Stuttgart 1995, 23–38

  • Henderson, J. C. / Venkatraman, D. J.: Five principles for making the most of IT. FINANCIAL TIMES, Supplement „Mastering Information Management“ vom 1.3.1999, 4–5

  • Ives, B. / Learmonth, G. P.: The Information System as a Competitive Weapon. In: Communications of the ACM 12/1984, 1193–1201

  • Lullies, V. / Bollinger, H. / Weltz, F.: Konfliktfeld Informationstechnik. Innovation als Managementproblem. Frankfurt a. M. 1990

  • McFarlan, F. W.: Information Technology Changes the Way You Compete. In: Harvard Business Review 3/1984, 98–103

  • McFarlan, F. W. / McKenney, J. L.: Corporate Information Systems Management. Homewood/Ill. 1983

  • Mertens, P. / Plattfaut, E.: Informationstechnik als strategische Waffe. In: Information Management 2/1986, 6–17

  • Müller-Zantop, S.: Wo liegt der Wert der Informationsverarbeitung? In: F.A.Z. vom 17.3.1998, B 6

  • Porter, M. E.: Wettbewerbsvorteile. 7. A., Frankfurt a. M. 2000

  • Porter, M. E. / Millar, V. E.: How Information Gives You Competitive Advantage. In: Harvard Business Review 4/1985, 149–160

Vertiefungsliteratur

  • Brynjolfson, E.: The Productivity Paradox of Information Technology. In: Communications of the ACM 12/1993, 67-77

  • Enns, H. G. / Huff, S. L. / Higgins, C. A.: CIO Lateral Influence Behaviors: Gaining Peers´ Commitment to strategic Information Systems. In: MIS Quarterly 1/2003, 155-176

  • Fröschle, H.-P. (Hrsg.): Wettbewerbsvorteile durch IT. Heidelberg 2004

  • Fröschle, H.-P. (Hrsg.): Wettbewerbsfaktor IT. Heidelberg 2009

  • Kainz, G. A. / Walpoth, G.: Die Wertschöpfungskette als Instrument der IS-Planung. In: Information Management 4/1992, 48-57

  • Piccoli, G. / Blake, Ives: IT-dependent Strategic Initiatives and Sustained Competitive Advantage: A Review and Synthesis of the Literature. In: MIS Quarterly 4/2005, 141-116

  • Rockart, J. F. / Scott, M.: Implications of Changes in Information Technology for Corporate Strategy. In: Interfaces 1/1984, 84–95

  • Abbildungsarchiv: Situationsanalyse (SITAN)