Nutzwertanalyse (NUTZW)

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Lernziele

Sie kennen den Unterschied zwischen Nutzwertmodell und Nutzwertanalyse. Sie können die Komponenten des Nutzwertmodells und damit die Arbeitsschritte der Nutzwertanalyse erläutern. Sie sind in der die Lage, das Nutzwertmodell an eine konkrete Entscheidungssituation anzupassen, um aus einer Menge von Handlungsalternativen die optimale Alternative zu bestimmen. Sie kennen die Wahlprobleme, die dabei auftreten, und Sie können diese lösen. Sie kennen weiterführende Varianten der Nutzwertanalyse.

Definitionen und Abkürzungen

  • Entscheidungsregel (decision rule) = Vorschrift, die für eine Entscheidungssituation angibt, wie eine Menge von Zielwerten für eine Menge von Handlungsalternativen zum Gesamtnutzen aggregiert wird. Synonym: Aggregationsfunktion.

  • Kriteriengewicht (criterion weight) = relative Bedeutung der Kriterien in einer bestimmten Evaluierungssituation.

  • Kriterium (criterion) = Eigenschaft eines Objekts, dessen Ausmaß durch Messung, Schätzung oder Prognose ermittelt wird. Synonym: Zielkriterium.

  • Modell (model) = vereinfachte Abbildung eines Ausschnitts der Wirklichkeit oder Konstruktion eines Vorbilds für die Wirklichkeit.

  • Nutzen (benefit) = Wert einer Handlungsalternative zur Befriedigung eines definierten Bedarfs. Synonym: Nutzwert.

  • Nutzwert (value of benefit) = Synonym für Nutzen.

  • Präferenz (preference) = Vorziehenswürdigkeit eines Objekts (z. B. einer Alternative, eines Kriteriums) gegenüber anderen Objekten.

  • Präferenzordnung (preference order) = Ordnung von Objekten (z. B. Alternativen, Kriterien) aufgrund bestehender Präferenzen.

  • Zerlegung (decomposition) = systematisches, zielorientiertes Verändern eines Objekts so, dass Teilobjekte entstehen, die bzgl. der verfolgten Ziele möglichst homogen sind.

  • Ziel (objective) = angestrebter Endpunkt eines menschlichen Handlungsprozesses.

  • Zielertrag (goal profit) = Ausmaß der Zielerreichung bezüglich eines Zielkriteriums. Synonym: Zielerreichungsgrad.

  • Zielertragsmatrix (goal profit matrix) = Matrix, die in den Zeilen die Alternativen und in den Spalten die Kriterien enthält; die Elemente der Matrix sind die Zielerträge.

  • Zielhierarchie (goal hierarchy) = stufenmäßig aufgebaute Ordnung der Elemente eines Zielsystems in Form einer Rangordnung mit von oben nach unten abnehmender Bedeutung.

  • Zielsystem (goal system) = geordnete Menge von Zielen, zwischen denen Beziehungen bestehen, die idealtypisch gesehen komplementär, konfliktär oder indifferent sind.

  • Zielwert (goal value) = Abbildung eines Zielertrags auf einer nominalen, ordinalen oder kardinalen Skala (Skalierung). Synonym: Teilnutzen.

  • Zielwertmatrix (goal value matrix) = Matrix, die in den Zeilen die Alternativen und in den Spalten die Zielkriterien enthält; die Elemente der Matrix sind die Zielwerte.

Zweck der Nutzwertanalyse
Vorgehensweise der Nutzwertanalyse
Ergebnis der Nutzwertanalyse
Weiterführende Varianten der Nutzwertanalyse
Annahmen des Nutzwertmodells

Forschungsbefunde

Eisenführ/Weber berichten über die Ergebnisse einer empirischen Untersuchung (Laborstudie mit 261 Studierenden der Betriebswirtschaftslehre als Versuchspersonen in acht Gruppen, davon zwei Kontrollgruppen; Entscheidungsproblem: Arbeitsplatzwahl nach Studienabschluss), mit der die Auswirkung der Zerlegung von Zielen in Unterziele auf die Zielgewichte erkundet werden sollte. Ausgangsthese für die Untersuchung war, dass durch die Zerlegung eines Ziels in Unterziele die vom Entscheidungsträger empfundene relative Bedeutung dieses Ziels (relativ zu den übrigen Zielen im Zielsystem) vergrößert wird. Die untersuchten Hypothesen lauteten:

  • H1:Die Summe der Gewichte der Unterziele zerlegter Oberziele in einem linearen Modell ist größer als die Summe der Gewichte der nicht zerlegten Oberziele (so genannter Splitting-Bias).
  • H2:Je höher die (subjektiv empfundene) Korrelation zwischen den durch Zerlegung entstehenden Unterzielen ist, desto größer ist der Splitting-Bias.Zur Ermittlung der

Zielgewichte wurden vier Gewichtungsmethoden verwendet (Swing-Methode, Direct-Ratio-Methode, Conjoint-Methode und Multiple-Importance-Methode). H1 wurde bei allen verwendeten Gewichtungsmethoden deutlich bestätigt. Zu H2 waren die Ergebnisse widersprüchlich. Im Ergebnis kann festgehalten werden, dass mit einem Splitting-Bias generell gerechnet werden muss.

Eisenführ, F. / Weber, M.: Zielstrukturierung: ein kritischer Schritt im Entscheidungsprozeß. In: Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung 11/1986, 907-929

Demonstrationsbeispiel

Es wird die Anwendung der Nutzwertanalyse für folgendes Auswahlproblem gezeigt: Gegeben sind sieben alternative Methoden, mit denen die Aufgabe Zeiterfassung bei der Feinstudie der Systemanalyse unterstützt werden kann; für das Projekt sind drei der sieben Methoden anwendbar: Arbeitstagebücher, Tätigkeitsberichte und Multimomentstudien. Gesucht wird die Methode der Zeiterfassung, die für das gegebene Projekt optimal ist.

  • Erster Arbeitsschritt: Festlegen des Zielsystems. Abbildung 1 zeigt das Zielsystem als Ergebnis des ersten Arbeitsschritts. Die Enden der Zielketten sind als Zielkriterien (Kriterien) hervorgehoben. Jedes Kriterium wird operational beschrieben, also mit Zielinhalt, Messung des Zielertrags und Zieldimension (Messmethode). Dabei ist eine Anpassung generell verwendeter Beschreibungen der Zielinhalte (z. B Genauigkeit) an die Auswahlsituation (hier die Genauigkeit der Zeiterfassung) erforderlich. Daraus folgt die Notwendigkeit der Anpassung allgemeiner Messmethoden und Zieldimensionen an die Auswahlsituation.
  • Zweiter Arbeitsschritt: Ermitteln der Zielerträge. Auf Grund der operationalen Beschreibung der Zielkriterien wird der Zielertrag je Kriterium und je Alternative unter Verwendung der Messmethoden ermittelt (der Ermittlungsprozess kann im Demonstrationsbeispiel nicht gezeigt werden). Abbildung 2 zeigt das Ergebnis des Ermittelns der Zielerträge als Zielertragsmatrix
  • Dritter Arbeitsschritt: Ermitteln der Zielwerte. Für die Bewertung der Zielerträge wird ordinale Skalierung verwendet. Abbildung 3 zeigt die Zielwerte der Alternativen für jedes Kriterium auf Grund der in Abbildung 2 dokumentierten Zielerträge als Zielwertmatrix.
  • Vierter Arbeitsschritt: Durchführen der Wertsynthese. Als Entscheidungsregel wird die Rangordnungssummenregel verwendet. Sie bewirkt die Gewichtung der Zielwerte (vgl. Abbildung 3) und ihre Aggregation zum Nutzwert (Abbildung 4). Die Alternativen werden nach dem Nutzwert geordnet. Danach ergibt sich folgende Rangordnung: Zeiterfassung mit Multimomentstudien (optimale Alternative); 2. Zeiterfassung mit Tätigkeitsberichten; 3. Zeiterfassung mit Arbeitstagebüchern.

nutzw_zielkriterien_fr_die_bewertung_der_alternativen

Abb. 1: Zielkriterien für die Bewertung der Alternativen (Zielsystem)

 

nutzw_zielertrge_der_alternativen

Abb. 2: Zielerträge der Alternativen (Zielertragsmatrix)

 

nutzw_zielwerte_der_alternativen

Abb. 3: Zielwerte der Alternativen (Zielwertmatrix)

 

nutzw_teilnutzen_und_gesamtnutzen_der_alternativen

Abb. 4: Teilnutzen und Gesamtnutzen der Alternativen

Quelle

Heinrich, L. J.: Informationsmanagement – Planung, Überwachung und Steuerung der Informationsinfrastruktur. 7. A., München/Wien 2002, 433-435

Aufgabenverweise

  • Wahlprobleme, die mit Hilfe der Nutwertanalyse gelöst werden können, gibt es bei zahlreichen IM-Aufgaben auf strategischer und auf administrativer Aufgabenebene.

Kontrollfragen

  1. Was wird als Nutzwertmodell und was im Unterschied dazu als Nutzwertanalyse bezeichnet?

  2. Welches sind die bestimmenden Einflüsse beim Ermitteln des Zielsystems?

  3. Welcher Unterschied besteht zwischen Zielertrag, Zielwert und Nutzwert?

  4. Was bewirkt die Gewichtung der Zielkriterien und wie kann dabei methodisch vorgegangen werden?

  5. Welche Interdependenz besteht zwischen Skalierungsmethode(n) und Entscheidungsregel(n)?

  6. Welcher Unterschied besteht zwischen Ziel und Zielkriterium?

Quellen

  • Eisenführ, F. / Weber, M.: Zielstrukturierung: ein kritischer Schritt im Entscheidungsprozeß. In: Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung 11/1986, 907-929

  • Heinrich, L. J.: Informationsmanagement – Planung, Überwachung und Steuerung der Informationsinfrastruktur. 7. A., München/Wien 2002, 433-435

  • Huizingh, K. R. E. / Vrolijk, C. J.: Decision Support for Information Systems Management: Applying Analytic Hierarchy Process. Research Report No. 95B26, University Groningen, 1995

  • Mäder, O. B. / Ziegler, M.: Erfolgsfaktoren im Auswahlprozess betriebswirtschaftlicher Software für KMU. In: BFuP 5/2010, 558–574

  • Nollau, H.-G. / Gottfried, U.: Entscheidungskompetenz durch Anwendung der Vektor-Nutzwertanalyse. Lohmar 2009

  • Riedl, R.: Der Analytic Hierarchy Process: Ein geeignetes Verfahren für komplexe Entscheidungen in der Wirtschaftsinformatik? In: HMD 246/2005, 104–114

  • Saaty, T. L.: Decision Making for Leaders - The Analytic Hierarchy Process for Decisions in a Complex World. 3. A., Pittsburgh 2001

  • Scholles, F.: Die Nutzwertanalyse und ihre Weiterentwicklung. http://www.laum.uni-hannover.de/ilr/lehre; Abruf: 15.11.2008

  • Weber, M.: Nutzwertanalyse. In: Frese, E. (Hrsg.): Handwörterbuch der Organisation. 3. A., Stuttgart 1992, 1436-1448

  • Zahedi, F.: The Analytic Hierarchy Process – A Survey of the Method and its Applications. In: INTERFACES 4/1986, 96–108

  • Zangemeister, C.: Nutzwertanalyse in der Systemtechnik. 4. A., München 1976

Vertiefungsliteratur

  • Klein, R. / Scholl, A.: Planung und Entscheidung: Konzepte, Modelle und Methoden einer modernen betriebswirt- schaftlichen Entscheidungsanalyse. München 2004

  • Schauenberg, B.: Entscheidungsregeln, kollektive. In: Grochla, E. (Hrsg.): Handwörterbuch der Organisation. 2. A., Stuttgart 1980, 566-575

  • Weber, M.: Entscheidungen bei Mehrfachzielen. Wiesbaden 1983

  • Zangemeister, C. / Bomsdorf, E.: Empfindlichkeitsanalyse in der Nutzwertanalyse. In: Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung 5/1983, 375-397

  • Abbildungsarchiv: Nutzwertanalyse (NUTZW)