Lebenszyklusmanagement (LEMAN)

Inhaltsverzeichnis[Verbergen]

Lernziele

Sie kennen den Zweck des Lebenszyklusmanagements und Ursachen für den Veränderungsbedarf am Anwendungssystembestand. Sie können das Lebenszyklusmodell für Produkte auf Anwendungssysteme übertragen und die Varianten der Wartung in ein Lebenszyklusmodell einordnen. Sie erkennen die Bedeutung des Lebenszyklus als Planungsgrundlage für die Wartung und Neuentwicklung von Anwendungssystemen. Sie wissen, was Software Reengineering heißt und können Ziele und Aufgaben des Information Lifecycle Managements erläutern.

Definitionen und Abkürzungen

  • Altsystem (legacy system) = Anwendungssystem, das aus Sicht einer neuen Technologie als nicht mehr dem Stand der Technik entsprechend beurteilt wird.

  • Anwendungssystem (application system) = Teil eines Informationssystems, das zur Unterstützung einer bestimmten Aufgabe eingesetzt wird; Kombination von Anwendungsprogramm oder -programmen und zugehörigen Daten.

  • ILM = Information Lifecycle Management.

  • Jukebox = Speichersystem für optische und magneto-optische Speichermedien.

  • Lebenszyklus (life cycle) = nach Phasen strukturierte Lebensdauer eines Objektes (z. B. eines Produktes oder einer Dienstleistung).

  • Lebenszyklusmodell (life cycle model) = geordnete Menge von Phasen, die ein Produkt oder eine Dienstleistung in bestimmter Anordnung durchläuft.

  • RAID = redundant array of inexpensive disks; redundant array of independent disks; Speichersystem zur Datenspiegelung, das über mehrere Festplatten zur automatischen Datenspeicherung verfügt.

  • Reengineering = zusammenfassende Bezeichnung für Reverse Engineering und Restrukturierung.

  • Reverse Engineering = Umkehrung des Entwurfs- und Entwicklungsprozesses, d. h. Rückführung eines physischen Modells in ein logisches Modell, von dem aus das physische Modell erneuert wird.

  • Technologielücke (technology gap) = Abstand zwischen der technologisch möglichen Qualität und der tatsächlichen Qualität eines Produkts oder einer Dienstleistung, der durch die Technologieentwicklung verursacht wird.

  • Wartbarkeit (maintainability) = Eigenschaft eines Objekts (z. B. eines Anwendungsprogramms), an veränderte Anforderungen anpassbar zu sein.

  • Wartung (maintenance) = Erhaltung oder Wiederherstellung der Funktionsfähigkeit oder der Leistungsfähigkeit von Betriebsmitteln.

Zweck des Lebenszyklusmanagements
Veränderungsbedarf am Anwendungssystembestand
Lebenszyklusmodell
Wartungsmaßnahmen
Verwendung des Lebenszyklusmodells
Software Reengineering
Information Lifecycle Management

Forschungsbefunde

Selig fand bezüglich Anwendungssystem-Management [Anmerkung: früher verbreitete Bezeichnung für Lebenszyklusmanagement] folgenden Befund (schriftliche Befragung, N = 33, Untersuchungszeitraum 1982): Es ergaben sich keine Anhaltspunkte für ein Anwendungssystem-Management. In 24 ausgewerteten, schriftlich vorgelegten Phasenkonzepten sehen 15 nach Abschluss der Systemeinführung lediglich eine Phase Wartung und/oder eine Phase Überprüfung vor.
Selig, J.: EDV-Management – Eine empirische Untersuchung der Entwicklung von Anwendungssystemen in deutschen Unternehmen. Springer, Berlin et al. 1986


Griese et al. berichten folgenden Befund (explorative Studie in zwölf Unternehmen, Untersuchungszeitraum 1982-1984): Acht Unternehmen verfügen über Informationen über den prozentualen Anteil verschiedener Lebensdauerzyklen am Gesamtaufwand für ein Anwendungssystem, wobei die Zyklen Neuentwicklung, systembedingte Änderungen, organisationsbedingte Änderungen, extern bedingte Änderungen, Beseitigung von Störungen und Fehlern und sonstige Wartung unterschieden werden. Die meisten Unternehmen fassen aber dann alle Zyklen, die nicht Neuentwicklung sind, in einer einzigen Aufwandsgröße „Wartung/Pflege“ zusammen.
Griese, J. et al.: Ergebnisse des Arbeitskreises „Wirtschaftlichkeit der Informationsverarbeitung“. In: Zeitschrift für betriebswirtschaftliche Forschung 7/1987, 515-551


Wiegmann berichtet über Erfahrungen aus einem Projekt zur Restrukturierung von COBOL-Programmen mit dem Werkzeug DOMINO-CARE u. a.: Die restrukturierten Prog-ramme waren von Beginn an fehlerfrei und hatten die volle Funktionalität der Altprogramme. Aus dieser Erfahrung folgt, dass aufwendige Tests der restrukturierten Programme nicht erforderlich sind. Ob die Wartbarkeit verbessert werden konnte, wurde in Abhängigkeit von der Kenntnis der Altprogramme unterschiedlich beurteilt. Programmierer, welche die Altprogramme gut kannten, fanden Lesbarkeit und Verständlichkeit kaum verbessert.
Wiegmann, B.: DOMINA-CARE – Erfahrungen aus einem Pilotprojekt. In: WIRTSCHAFTSINFORMATIK 2/1992, 146-155


Sneed/Kaposi haben im Rahmen des Projekts Esprit-Metrik festgestellt, dass die Anpassungswartung, die nicht ausdrücklich auf Qualitätsverbesserung abzielt, die Wartbarkeit auf Grund steigender Komplexität weiter verschlechtert. Während die Komplexität nach einer Korrekturwartung nur um 4 % steigt, erhöht sie sich durch eine Anpassungswartung um 26 % (zitiert nach Eicker et al.).
Eicker, St. / Kurbel, K. / Pietsch, W. / Rautenstrauch, C..: Einbindung von Software-Altlasten durch integrationsorientiertes Reengineering. In: WIRTSCHAFTSINFORMATIK 2/1992, 137-145


Filbig/Kernler berichten über Erfahrungen aus einer Fallstudie über die Programm-Migration von COBOL (mit VSAM) auf NATURAL (mit ADABAS) u. a.: Die Anzahl der Programme hat sich drastisch erhöht (von etwa 700 auf 1200), was auf die konsequente Modularisierung zurückzuführen ist. Die Anzahl der Zeilen Code je Programm hat sich drastisch verringert (von zwischen 80 und 6000 auf durchschnittlich 150), was auf die Mächtigkeit der Befehle von NATURAL zurückzuführen ist. Die Systemzuverlässigkeit konnte deutlich gesteigert werden (von einem Absturz pro Woche auf null). Überstunden bei den Softwareentwicklern wurden abgebaut. Die Programme sind nach der Umstellung auf NATURAL vom Softwareentwickler unabhängig; sie sind von jedem Softwareentwickler wartbar. Die Arbeitsorganisation der Softwareentwickler konnte verbessert werden, insbesondere wurde die Arbeitsteiligkeit reduziert. Das Qualitätsbewusstsein wurde gestärkt.
Filbig, G. / Kernler, H.: Eine Migration von COBOLVSAM zu NATURAL/ADABAS. In: WIRTSCHAFTSINFORMATIK 4/1993, 325-330


Spitta leitet aus dem Datenmaterial einer Längsschnittuntersuchung (Erfassung der Aufwandsdaten vom 1.2.1987 bis Mitte 1993 durch 40 Softwareentwickler in einem Industrieunternehmen mit rd. € 100 Mio. Jahresumsatz) die These ab, dass neben Entwicklung und Wartung eine Serviceart Betreuung treten muss, deren Aufwand nicht der Wartung zugerechnet werden darf. Er leitet u. a. folgende quantitative Aussagen ab: Etwa ein Viertel des Wartungsaufwands ist Aufwand für ungeplante Wartung; Struktur- und Kostenentwicklung der Wartung sind Ansatzpunkt für die Reduzierung des Wartungsaufwands. Die Aufwandsveteilung zwischen Entwicklung und Wartung beträgt 66:34; sie ist das Ergebnis situativer Entscheidungen (insbesondere Investitionsentscheidungen für Softwareentwicklung); sie kennt keine Gesetzmäßigkeit.
Spitta, Th.: Gewinnung korrekter Daten aus manuellen Aufschreibungen – Empirische Ermittlung eines Datenerfassungssystems. In: Grün, O. / Heinrich, L. J. (Hrsg.): Wirtschaftsinformatik – Ergebnisse empirischer Forschung, Springer, Wien/New York 1997, 105-118


Nach der Studie Information Lifecycle Management der Beratungsunternehmen Lünendonk und Techconsult gehört die Bewältigung des Datenwachstums bei hohem Kostendruck zu den großen Herausforderungen für das IT-Management (schriftliche Befragung der IT-Leiter von deutschen Unternehmen mit über 500 Mitarbeitern, N = 190, Erhebungszeitraum 2004). Etwas mehr als 17 %der befragten Unternehmen hat mit der Einführung von ILM begonnen oder plant dies. Als Treiber des Datenwachstums werden E-Mail (38 %), Office-Dokumente (28 %) und Anwendungen im Umfeld Data Warehouse und Business Intelligence (28 %) genannt. Die Kosten- und Leistungsrechnung gewinnt an Bedeutung, wobei 30 % der Befragten die Kosten für Speichernutzung nach dem so genannten Versichererprinzip an die Fachabteilungen oder Geschäftsbereiche verrechnet; Tendenz deutlich steigend.

http://www.bitp.org/presse_detail.php?ID=62&SFILTER=*&adate=2003. Abruf am 15.11.2004

Aus der Praxis

Methodenverweise

Fallstudienverweis

Kontrollfragen

  1. Worin besteht der Unterschied zwischen einem Vorgehensmodell und einem Lebenszyklusmodell?

  2. Wie entwickeln sich die Kosten eines Anwendungssystems in den Phasen des Lebenszyklus?

  3. Wie sind die verschiedenen Varianten der Wartung in das Lebenszyklusmodell einzuordnen?

  4. Welche Zwecke und Ziele des Software Reengineering können unterschieden werden?

  5. Welche Herausforderungen stellen sich für IT-Sicherheitsbeauftragte im Rahmen des Information Lifecycle Managements?

  6. Welche Ziele werden mit dem Information Lifecycle Management verfolgt?

Quellen

  • Born, S. et al.: Leitfaden zum Thema "Information Lifecycle Management". 2004. http://www.bitkom.org; Abruf: 16. Juni 2011

  • Kanakamedala, K. / Kaplan, J. M. / Srinivasaraghavan, R.: A smarter approach to data storage. In: The McKinsey Quarterly: The Online Journal of McKinsey & Co. March/2007, 1-3

  • Lünendonk GmbH (Hrsg.): Information Lifecycle Management 2007 - Bedeutung für den Wertbeitrag der IT. Bad Wörishofen 2007

  • Matthesius, M. / Stelzer, D.: Analyse und Vergleich von Konzepten zur automatisierten Informationsbewertung im Information Lifecycle Management. In: Bichler, K. et al. (Hrsg.): Multikonferenz Wirtschaftsinformatik 2008. Berlin 2008, 471-482

  • Polli, R. / Cook, V.: Validity of the Product Life Cycle. In: Journal of Business 4/1969, 385-400

  • Posner, M. V.: International Trade and Technical Change. In: Oxford Economic Papers 3/1961, 323-341

  • Zarnekow, R. / Scheeg, J. / Brenner, W.: Untersuchung der Lebenszykluskosten von IT-Anwendungen. In: WIRT­SCHAFTSINFORMATIK 3/2004, 181-187

Vertiefungsliteratur

  • Chen, Y.: Information Valuation for Information Lifecycle Management. In: Parashar, M. (Hrsg.): Proceedings of the 2nd International Conference on Autonomic Computing. Seattle, Washington 2005, 135-146

  • Kaiser, M. G. / Smolnik, S. / Riempp, G.: Konzeption eines Information-Lifecycle-Management-Frameworks im Dokumenten-Management-Kontext. In: Bichler, M. et al. (Hrsg.): Multikonferenz Wirtschaftsinformatik 2008. Berlin 2008, 483-494

  • Kaplan, J. M. / Roy, R. / Srinivasaraghavan, R.: Meeting the demand for data storage In: The McKinsey Quarterly: The Online Journal of McKinsey & Co. June/2008, 1-6

  • Matys, E.: Praxishandbuch Produktmanagement - Grundlagen und Instrumente. 3. A. Frankfurt a. M. 2005

  • Petrocelli, T.: Data Protection and Information Lifecycle Management. New York et al. 2005

  • Philipp, M.: Ordnungsmäßige Informationssysteme im Zeitablauf. In: Wirtschaftsinformatik 4/1998, 312-317

  • Thome, G. / Sollbach, W.: Grundlagen und Modelle des Information Lifecycle Management. Berlin 2007

  • Turczyk, L. A. et al.: Eine Methode zur Wertzuweisung von Dateien in ILM. In: Bichler, M. et al. (Hrsg.): Multikonferenz Wirtschaftsinformatik 2008. Berlin 2008, 459-470

Informationsmaterial

Normen

  • IEEE 1074-2006: IEEE Standard for Developing a Software Project Life Cycle Process

  • ISO/IEC 12207:2008: Systems and software engineering - Software life cycle processes

  • ISO/IEC 15288: 2008: Systems and software engineering - System life cycle processes

  • Abbildungsarchiv: Lebenszyklusmanagement (LEMAN)