Lernziele
Sie kennen den Zweck des Geschäftsprozessmanagements und können den Unterschied zwischen Funktions- und Prozessorientierung beschreiben. Sie wissen, wodurch Business Process Reengineering gekennzeichnet ist. Sie können wesentliche Aufgaben des Geschäftsprozessmanagements erörtern. Sie kennen Ziele der Prozessmodellierung und können typische Kennzahlen beschreiben, mit denen Geschäftsprozesse evaluiert werden.
Definitionen und Abkürzungen
- Aktivität (activity) = in sich geschlossene Folge von Tätigkeiten, deren Unterbrechung kein sinnvolles Ergebnis liefert. Synonyme: Arbeitsschritt, Operation.
- Bearbeitungszeit (handling time, net process time) = Zeit, die für die Durchführung eines Prozesses erforderlich ist.
- BPR = Business Process Reengineering.
- Durchlaufzeit (cycle time, lead time) = Zeit, die ein Objekt zum Durchlaufen eines Systems benötigt (z. B. Zeit zwischen Auftragseingang und -erfüllung); setzt sich zusammen aus Bearbeitungs-, Rüst-, Warte- und Transportzeiten.
- Geschäftsprozess (business process) = Abfolge von zeitlich und sachlich zusammenhängenden Tätigkeiten zur Erstellung eines betriebswirtschaftlich relevanten Ergebnisses.
- GPM = Geschäftsprozessmanagement.
- Modellierungswerkzeug (modeling tool) = Werkzeug zur Abbildung, Analyse und Simulation von Geschäftsprozessen.
- Operation (operation) = Handlung oder Tätigkeit, die im betrachteten Zusammenhang nicht weiter zerlegt werden soll. Synonyme: Aktivität, Arbeitsschritt.
- Prozess (process) = Menge von Teilprozessen, Prozess- und Arbeitsschritten, die durch einen Input in ein System, interne Funktionen und einen Output gekennzeichnet ist.
- Prozesseigner (process owner) = für einen Prozess verantwortlicher Mitarbeiter.
- Prozesselement (process element) = Teil eines Prozesses; Teilprozess, Prozess- oder Arbeitsschritt.
- Prozessorientierung (process orientation) = Ausrichtung eines Unternehmens primär an Geschäftsprozessen statt an Funktionalbereichen.
- Prozessqualität (process quality) = Gesamtheit von Merkmalen und Merkmalswerten eines Prozesses bezüglich seiner Eignung, festgelegte und vorausgesetzte Forderungen zu erfüllen.
- Referenzmodell (reference model) = Modell, das einen gewollten oder geplanten Zustand eines Systems abbildet, an dem dessen gegenwärtiger Zustand beurteilt werden kann, oder ein Modell, das als Vorbild zur Ableitung eines spezifischen Modells dient.
- Tätigkeit (work element) = Teilaufgabe, die bei einem gegebenen Untersuchungszweck nicht weiter zerlegt werden kann. Synonyme: Aktivität, Arbeitsschritt, Operation.
Zweck des Geschäftsprozessmanagements
Funktions- versus Prozessorientierung
Aufgaben des Geschäftsprozessmanagements
Rollen des Geschäftsprozessmanagements
Forschungsbefunde
Nippa/Picot berichten, dass 75 % der Unternehmen Aktivitäten im Bereich Geschäftsprozessmanagement durchführen (schriftliche Befragung, N = 424 deutsche Großunternehmen, R = 22,4 %, Untersuchungszeitraum 3/1994 bis 5/1994). Von 51 Unternehmen, die mit dem Fragebogen projektbezogene Informationen retournierten, planen 16 % ein einschlägiges Projekt, 43 % haben ein Projekt gestartet und 41 % ein Projekt abgeschlossen. Fast die Hälfte der Projekte werden bzw. wurden ohne externe Berater durchgeführt. Die drei wichtigsten Projektziele sind Verbesserung der Kundenorientierung, Qualitätssteigerung und Kostenreduzierung. Als Barrieren für den Projekterfolg werden mangelnde Durchgängigkeit der Informationssysteme wegen ihrer funktionalen Spezialisierung genannt.
Picot, A. / Böhne, M.: Zum Stand der prozessorientierten Unternehmensgestaltung in Deutschland. In Nippa, M. / Picot, A.: Prozessmanagement und Reengineering – Die Praxis im deutschsprachigen Raum. Frankfurt/M. und New York 1995, 227-247
Schmidt nennt folgende Erfahrungen, die Teilnehmer am MOVE-Projekt mit verschiedenen Vorgehensweisen der Sollprozessgestaltung gemacht haben: Die Bedeutung der Projektvorbereitung wird oft unterschätzt; für die Akzeptanz von Veränderungen wird die Integration der Mitarbeiter in das Projekt als Erfolgsfaktor genannt; ein Wandel im Denken der Mitarbeiter „von der Funktionsorientierung zur Prozessorientierung“ ist zur Problemvermeidung ebenso erforderlich wie eine zielorientierte Werkzeugauswahl; die Zusammensetzung des Projektteams in der Phase der Projektvorbereitung muss Know-how-Träger und Visionäre bzw. Strategen, Fachleute und Modellierer berücksichtigen.
Schmidt, Y.: Die Praxis der Sollprozessgestaltung im Rahmen der Einführung von Workflow-Management-Systemen. In: Herrmann, Th. et al. (Hrsg.): Verbesserung von Geschäftsprozessen mit flexiblen Workflow-Management-Systemen. Heidelberg 1998, 135-158
Gappmaier/Häntschel berichten u. a. folgende Befunde aus der Evaluierung von Workflow-Management-Systemen: Die Produktivität von Geschäftsprozessen wird durch Einsatz von Workflow-Management-Systemen umso stärker positiv beeinflusst, je strukturierter und weniger komplex die Geschäftsprozesse sind.
Gappmaier, M. / Häntschel, I.: Die Evaluierung von Workflow-Management-Systemen in Laborstudien. In: Grün, O. / Heinrich, L. J. (Hrsg.): Wirtschaftsinformatik – Ergebnisse empirischer Forschung. Springer, Wien/New York 1997, 63-77
Becker berichtet über zehn Fallstudien, bei denen er die Rolle der IT als Enabler bei GPM-Projekten belegt. Zur Erzielung von mehr Produktivität durch Einführung von Workflow-Management-Systemen liefert die Konzentration auf organisatorische oder auf technische Maßnahmen schlechtere Ergebnisse als eine sinnvolle Kombination beider Maßnahmenkategorien.
Becker, H.: Produktivitätssteigerungen durch Workflow-Management. Kombination organisatorischer und technischer Maßnahmen zur Prozessgestaltung. Lohmar/Köln 1999
Schmelzer/Sesselmann (563-576) werten verschiedene Studien zu den Wirkungen des GPM aus (Sekundäranalyse von 32, zwischen 1991 und 2007 publizierten Quellen). GPM-Projekte können bereits nach sechs bis zwölf Monaten kurzfristige Erfolge erreichen. Typische Leistungssteigerungen manifestieren sich in verbesserter Produktqualität, verkürzten Durchlaufzeiten, geringeren Prozesskosten und höherer Kundenzufriedenheit. Durch BPR erreichte „dramatische“ Leistungssteigerungen können dauerhaft aber nur aufrechterhalten werden, wenn sie im Rahmen eines „integrierten“ GPM durch kontinuierliche Verbesserungen stabilisiert und ausgebaut werden. Nur über einen abgestimmten Einsatz verschiedener Methoden werden nachhaltige Verbesserungen erzielt. Eine effektive Verwendung von GPM erfordert einen aufeinander abgestimmten Einsatz verschiedener Methoden und dauert mindestens zwei bis drei Jahre. „Diese lange Anlaufzeit benötigen Management und Mitarbeiter, um die neuen Orientierungen, Verhaltensweisen und Werkzeuge zu verstehen, zu lernen und täglich zu praktizieren.“ (570)
Mertens (1996) (Literaturanalyse, Anzahl der ausgewerteten Quellen und Untersuchungszeitraum nicht angegeben) kritisiert die einseitige Ausrichtung der Wirtschaftsinformatik auf die Prozessorientierung bei gleichzeitigem „Verzicht auf jegliches Abwägen zwischen Alternativen IV-gestützter Aufbau- und Ablauforganisation neben dem Prozessfokus.“ Mertens fasst seine Untersuchungsergebnisse wie folgt zusammen: „Prozessorientierung beeinträchtigt den sparsamen Umgang mit Ressourcen und verstößt damit gegen elementare Ziele des Ökonomen.“ „Das oft gesteckte Prozeßziel „Minimierung der Durchlaufzeit“ ist nur bedingt mit dem in der Marktwirtschaft gültigen Oberziel „maximale Kapitalrentabilität“ bzw. „maximaler Shareholder Value“ konform.“ „Generell scheint … die Bedeutung des Produktes sowie der Übereinstimmung von Produktangeboten/Produkteigenschaften und vom Markt signalisierten Bedarfen vernachlässigt zu werden.“ „Für gefährlich muß man die übertriebene Priorisierung der „wertschöpfenden“ vor den „lediglich unterstützenden“ Prozessen … beurteilen. Wesentliche Krisen sind nicht durch nicht „optimierte“ Geschäftsprozesse entstanden, sondern durch mangelndes Controlling.“ „Die sukzessive Verbesserung und Automatisierung von (Haupt-)Prozessen gewährleistet nicht, dass nach einigen Jahren eine geschlossene integrierte Lösung erreicht sein wird.“ (446 f.; Hervorhebungen im Original wurden weggelassen)
Aus der Praxis
Hoch/Laartz berichten, dass der CIO der Volkswagen AG seit einigen Jahren für die Definition der Geschäftsprozesse mitverantwortlich ist. Er organisierte die IT so, dass diese nicht mehr ausschließlich Unterstützungsfunktionen für bestehende Prozesse übernimmt, sondern eine wesentliche Rolle bei der Verbesserung und Neugestaltung von Geschäftsprozessen spielt. Zu diesem Zweck wurden vier Process Integration Officers (PIOs) für konzernweit definierte Kernprozesse ernannt. Sie übernehmen die Abstimmung zwischen der IT-Abteilung und den Fachbereichen der Volkswagen AG. Die PIOs sind dafür verantwortlich, dass die Prozesslandschaft und das IT-Systemportfolio aufeinander abgestimmt werden und dass nicht jeder Unternehmensbereich eine eigene IT-Systemwelt entwickelt. Vor der prozessorientierten Reorganisation der IT-Abteilung wurden lediglich 18 % des IT-Budgets für neue Entwicklungsprojekte verwendet, während der Rest Wartungs- und Betriebskosten für bereits bestehende Anwendungen waren. Nach der Reorganisation betrug das Verhältnis 30 zu 70 %.
Methodenverweise
Fallstudienverweis
Kontrollfragen
- Welche Probleme mit der Funktionsorientierung haben zur Prozessorientierung geführt?
- Welche Ziele werden mit Prozessmodellierung verfolgt?
- Unter welchen Bedingungen eignet sich BPR und unter welchen Bedingungen eignet sich die evolutionäre Weiterentwicklung eines Geschäftsprozesses?
- Sind die mit der Prozessorientierung verfolgten Ziele „Verkürzung der Durchlaufzeit“ und „Senkung von Personalkosten“ ökonomisch relevant?
- Mit welchen Kennzahlen können Prozesse evaluiert werden?
- Worin besteht der Unterschied zwischen Prozessanalyse und Prozessentwurf?
Quellen
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Davenport, T. H.: Process Innovation. Reengineering Work through Information Technology. Boston 1993
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Gaitanides, M.: Prozessorganisation. Entwicklung, Ansätze und Programme des Managements von Geschäftsprozessen. München 2007
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Grover, V. et al.: The Implementation of Business Process Reengineering. In: Journal of Management Information Systems 1/1995, 109–144
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Hammer, M. / Champy, J.: Business Reengineering. Die Radikalkur für das Unternehmen. 7. A., Frankfurt a. M. 2003
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Hoch, D. / Laartz, J.: How IT can drive business process reorganization: An Interview with CIO of Volkswagen. In: The McKinsey Quarterly: The Online Journal of McKinsey & Co. September/2006, o. S.
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Kaplan, R. S. / Norton, D. P.: Balanced Scorecard. Stuttgart 1997
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Luftman, J. / Ben-Zvi, T.: Key Issues for IT Executives 2010: Judicious IT Investments Continue Post-Recession. In: MIS Quarterly Executive 4/2010, 263–273
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Mertens, P.: Process focus considered harmful? In: WIRTSCHAFTSINFORMATIK 4/1996, 446-447
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Mertens, P.: Operiert die Wirtschaftsinformatik mit falschen Unternehmenszielen? - 15 Thesen. In: Becker, J. et al. (Hrsg.): Wirtschaftsinformatik und Wissenschaftstheorie: Bestandsaufnahme und Perspektiven. Wiesbaden 1999, 379-392
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Mertens, P.: Gefahren für die Wirtschaftsinformatik - Risikoanalyse eines Faches. In: Ferstl, O. K. et al. (Hrsg.): Wirtschaftsinformatik 2005. eEconomy, eGovernment, eSociety. Heidelberg 2005, 1733-1754
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Nippa, M.: Bestandsaufnahme des Reengineering-Konzepts. Leitgedanken für das Management. In: Nippa, M. / Picot, A. (Hrsg.): Prozeßmanagement und Reengineering. Die Praxis im deutschsprachigen Raum 2. A., Frankfurt a. M./New York 1996, 61-77
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Schmelzer, H. J. / Sesselmann, W.: Geschäftsprozessmanagement in der Praxis. Kunden zufrieden stellen - Produktivität steigern - Wert erhöhen. 6. A., München 2008
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Wyssusek, B.: Geschäftsprozeßmodell, Geschäftsprozeßmodellierung. In: Mertens, P. (Hrsg.): Lexikon der Wirtschaftsinformatik. 4. A., Berlin/Heidelberg/New York 2001, 210-211
Vertiefungsliteratur
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Allweyer, T.: Geschäftsprozessmanagement: Strategie, Entwurf, Implementierung, Controlling. 2. A., Herdecke et al. 2007
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Becker, J. / Kugeler, M. / Rosemann, M.: Prozessmanagement. Ein Leitfaden zur prozessorientierten Organisationsgestaltung. 6. A., Berlin/Heidelberg 2008
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Davenport, T. H. / Short, J. E.: The New Industrial Engineering: Information Technology and Business Process Redesign. In: Sloan Management Review 4/1990, 11-27
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Ellringman, H.: Vom Qualitätsmanagement zum strategischen Geschäftsprozessmanagement. In: Pfeifer, T. / Schmitt, R. (Hrsg.): Masing. Handbuch Qualitätsmanagement. 5. A., München 2007, 69-92
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Gadatsch, A.: Grundkurs Geschäftsprozess-Management. Methoden und Werkzeuge für die IT-Praxis: Eine Einführung für Studenten und Praktiker. 4. A., Wiesbaden 2005
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Osterloh, M. / Frost, J.: Prozessmanagement als Kernkompetenz. Wie Sie Business Reengineering strategisch nutzen können. 5. A., Wiesbaden 2006
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Scheer, A.-W.: Wirtschaftsinformatik: Referenzmodelle für industrielle Geschäftsprozesse. 7. A., Berlin 1997
Informationsmaterial
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ABPMP - The Association of Business Process Management Professionals
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BPM-Netzwerk.de - Das D.A.CH.-Netzwerk für BPM-Professionals
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Querschnittsfachausschuss Modellierung der Gesellschaft für Informatik
Links
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Abbildungsarchiv: Geschäftsprozessmanagement (GPMAN)